Das Weinland wird zum Windland

Region - Platz für Windanlagen soll vor allem das Weinland bieten. Von den «60 bis 70» Turbinen kämen knapp 40 hier zu liegen. Am Dienstag gab Bau­direktor Martin Neukom bekannt, welche Potenzialgebiete definitiv in den Richtplan eingetragen werden sollen.

Tizian Schöni (tz) Publiziert: 05. Juli 2024
Lesezeit: 3 min

Politische Entscheide seien es nicht gewesen, sagte Martin Neukom an der Pressekonferenz vom Dienstag. Ein Politikum ist es trotzdem, wo im Kanton künftig Windanlagen stehen könnten. Volk und Bund beauftragten die Kantone mit dem Inkrafttreten des Energiegesetzes bereits 2018, Eignungsgebiete – unter anderem für Windenergie – in ihre Richtpläne einzutragen. Die meisten haben das längst geschafft (siehe Text unten). Im Kanton Zürich macht die Baudirektion nun einen Schritt vorwärts.

Knapp 50 unterschiedliche Schutz-interessen wogen Experten gegen die Nutzung der potenziellen Standorte (AZ vom 26.1.2024) als Baugrund für Windenergieanlagen ab. Darunter sind Lärm, Reservate oder die Betroffenheit von Wald, aber auch exotischere Erwägungen wie das «Inventar der historischen Verkehrswege Schweiz», «Kerngebiete Auerhuhn» oder die «Puffer um meteorologische Bodenmessstationen».

Der Windrad-Killer Flugverkehr
Den Garaus machte den meisten der  52 Potenzialgebiete schliesslich nicht der Natur- oder Landschaftsschutz, sondern die Aviatik. In der Vorprüfung beim Bund legten vor allem das Bundesamt für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) und der Flugsicherungsdienst Skyguide ihr Veto ein. Allein deshalb fielen sechs Gebiete sofort aus der Planung, bei weiteren 15 seien die Konflikte mit dem Luftraum «im Prinzip lösbar», wie Martin Neukom an der Pressekonferenz sagte. Sie werden nicht für die Eintragung in den Richtplan vorgeschlagen, für eine spätere Revision aber zurückgestellt.

Aufgrund der Schutz- und Nutzenanalyse fielen zusätzlich elf Gebiete weg. Zum Beispiel das kleine Gebiet zwischen Marthalen und Rheinau, wo  Brutvogelschutz, Wildtiervernetzung und die Bedenken der Flugsicherung stärker gewichtet wurden als die einzelne Anlage, die dort hätte gebaut werden können.

Übriggeblieben sind insgesamt 20 Gebiete, von denen allein neun im Zürcher Norden liegen.

Das sagen die Gemeinden
Stammheim versendete bereits am Dienstag eine Stellungnahme. Auf dem Gemeindegebiet soll der kantonal grösste Standort mit acht möglichen Anlagen eingetragen werden. Für den Gemeinderat überwiege nach wie vor der Schutz des Stammerbergs, man sei «entsprechend überrascht und enttäuscht, dass die Argumente nicht angemessen berücksichtigt wurden».

Seit jeher gross ist der Widerstand in Dägerlen, Altikon und Thalheim. Überall wurden kommunale Initiativen angenommen, die einen Mindestabstand von Gebäuden zu den Anlagen in der Bau- und Zonenordnung festlegen. Gleichzeitig waren es drei von fünf Gemeinden, die das Stromgesetz auf Bundesebene in der Abstimmung vom 9. Juni ablehnten (AZ vom 25.6.2024).

In Kleinandelfingen hingegen wehte um das Potenzialgebiet bisher nicht einmal ein laues Lüftchen – an Gemeindeversammlungen und anderen öffentlichen Anlässen war es nie Thema gewesen. Und nun soll der Standort beidseits der A4 in den Richtplan kommen. Der Gemeinderat werde sich in der Sache noch beraten, sagt Präsident David Stäheli auf Anfrage. Aber Hinkelsteine aufzustellen wie in Zeiten der Endlagerdiskussion, das sei nicht seine Politik. Lieber wolle er prüfen, inwiefern die Gemeinde profitieren könne. Und natürlich werde man sich im Rahmen der Vernehmlassung einbringen.

Letzteres sagt auch die Trülliker Gemeindepräsidentin Claudia Gürtler gegenüber dem «Landboten». Das Eignungsgebiet für Windenergie sei nicht überraschend gekommen, ganz im Gegenteil zum Entscheid der Baudirektion, auf dem Gemeindegebiet eine Bauschuttdeponie einzurichten (AZ vom 12.4.2024).

Wie geht es weiter?
Bis zum 31. Oktober liegt der Richtplan nun öffentlich auf. Nun können sich alle Interessierten dazu äussern. Zudem plant die Baudirektion in den kommenden Wochen mehrere regionale Anlässe für die Bevölkerung. Im Weinland findet ein solcher am 24. August statt, der Ort ist noch nicht bekannt. Eine Besonderheit sei, dass Wortmeldungen und Fragen an der Veranstaltung protokolliert würden und ebenfalls in das Verfahren einflössen, sagte der Baudirektor.

Die Auswertung der Auflage und der Antrag an den Kantonsrat sollen im kommenden Jahr stattfinden, voraussichtlich 2026 oder 2027 sei mit einem Entscheid der Parlamentarier zu rechnen.

Steckbriefe zu den Eignungsgebieten, Grundlagenbericht und Infoveranstaltungen unter www.zh.ch/windenergie

Bisher 15 Jahre zur Baubewilligung
Zürich: Zusammen mit der Revision des Richtplans soll auch der Bau von Windparks beschleunigt werden. Denn Planung und Genehmigung solcher Projekte dauern in der Schweiz bisher sehr lange. Der Windpark am Gotthard benötigte 16 Jahre, ein Projekt in Schaffhausen (siehe zweiter Kasten unten), das seit 2012 läuft, wird ähnlich viel Zeit in Anspruch nehmen. Im Kanton Zürich müssen Windparks bisher mit einem kantonalen Gestaltungsplan erstellt werden, gegen den vor dem Baurekurs-, dem Verwaltungs- und dem Bundesgericht rekurriert werden kann. Ist dieser genehmigt, braucht es zusätzlich eine Baubewilligung, für die derselbe Rechtsweg möglich ist. Neu sollen Baubewilligung und kantonaler Gestaltungsplan gleichzeitig laufen, ein Rekurs wäre dann «nur» noch vor zwei Instanzen, nämlich dem Verwaltungs- und dem Bundesgericht, möglich. Im neuen Verfahren schlägt der Regierungsrat zudem neue Modelle für den Einbezug der Standortgemeinden vor. (tz)


Erste Windmesstürme sind für Winter geplant
Zürich: Im kommenden Winter sollen an den potenziellen Zürcher Windkraft-Standorten die ersten Einrichtungen stehen. Geplant sind Windmesstürme. Dabei handelt es sich um Türme, die Antennen ähneln und weit in den Himmel ragen. Sie haben die Aufgabe, die Windgeschwindigkeit und -richtung zu messen. Wie es beim Elektrizitätswerk Zürich EKZ auf Anfrage hiess, sollen die Türme ein Jahr lang stehen bleiben. Zürich Wind, so heisst der Windkraft-Zusammenschluss von EKZ, Stadtwerk Winterthur und dem Elektrizitätswerk Zürich EWZ, wird zudem mit den Gemeinden der möglichen Standorte Kontakt aufnehmen. Das teilte die Kooperation am Donnerstag mit. Dabei werde auch zusammen mit den Gemeinden erarbeitet, welche Wertschöpfung durch Windkraftanlagen möglich sei. (sda)

Baugesuch für den ersten Schaffhauser Windpark eingereicht

Region: Während sich Zürich noch um den Richtplaneintrag zankt, darf in Schaffhausen schon bald gebaut werden. Am Dienstag gab die Projektgemeinschaft Chroobach Windenergie das Baugesuch in Hemishofen ab.

Sie sind uns Zürchern nicht nur eine Naselänge, sondern vermutlich ein Jahrzehnt voraus: In Schaffhausen wurde am Dienstag das erste Baugesuch für einen Windpark eingereicht. Und trotzdem sagte Thomas Fischer, CEO der Elektrizitätswerke Schaffhausen (EKS): «Wir haben nicht mehr so viel Zeit.» Gemeinsam mit dem städtischen Energieversorger SH Power bildet das Unternehmen die Projektgemeinschaft Chroobach Windenergie. Sie plant seit 2012 am Kraftwerk, dessen vier Turbinen nordöstlich von Hemishofen zu liegen kommen sollen.

Dafür hat der Kanton vorgelegt: 2009 bis 2012 führte er zwei Windpotenzialstudien durch, 2014 erfolgte eine erste Richtplananpassung, 2019 wurden die Gebiete definitiv festgesetzt. Parallel dazu liefen Machbarkeitsstudie und Projektplanung des Windparks. Nun reichte die Projektgruppe das Baugesuch für die vier rund 200 Meter hohen Anlagen ein. Bei schönem Wetter werden sie auch aus dem Weinland zu sehen sein. Die Gemeinde muss nun ihre Nutzungsplanung anpassen. Das letzte Wort hat schliesslich der Regierungsrat.

Winterstrom für 9000 Haushalte
25 Jahre werden die Anlagen in Betrieb sein, jährlich sollen sie knapp 30 Gigawattstunden Strom produzieren, genug für etwa 9000 Haushalte pro Jahr.

Zufahrten müssten kaum neu gebaut, höchstens verbreitert werden, sagte der Projektleiter von Chroobach Windenergie, Patrick Schenk, an der Medienkonferenz. Allerdings würden im Zuge des Baus rund 30'000 Quadratmeter Wald gerodet. Die Aufforstung finde jedoch vollständig in der Umgebung statt, viele Flächen könnten sogar an Ort und Stelle renaturiert werden. Am Ende würden etwa 7000 Quadratmeter durch die Anlagen und die verbreiterten Wege dauerhaft beansprucht.

Die Turbinen selbst sind mit diveresen Abschaltmechanismen ausgestattet, sollten sich zum Beispiel Fledermäuse oder Vögel der Anlage nähern. Ein Algorithmus berechnet zudem, ob pro Tag mehr als 30 Minuten, höchstens aber während acht Stunden pro Jahr der Schatten von Rotoren auf bewohnte Gebäude trifft. Sollte eine dieser Grenzen überschritten werden, schaltet die Windanlage automatisch ab. Und die Lärmschutzrichtwerte würden auch ohne Massnahmen eingehalten, versicherte Patrick Schenk.

Abgeltungsmodell für Gemeinden
Auch eines der viel besprochenen Beteiligungsmodelle für die einheimische Bevölkerung wurde gefunden. Man wisse von fast 400 Interessenten, die sich mit einem Aktienkauf am Projekt beteiligen möchten, sagte Patrick Schenk. Zehn Prozent des Kapitals seien für Kleinanleger aus der Region zurückgestellt. Gemeinden, Grundeigentümer (in diesem Fall vor allem die Stadt Stein am Rhein) und ein Naturschutzfonds würden einen jährlichen Beitrag erhalten. Wie hoch dieser ist, wollte die Projektgruppe nicht verraten. (tz)