Mit «Freundinnen» zusammengelebt

Bezirksgericht - Sie hielten ausländische Frauen als persönliche Haussklavinnen, fesselten sie und sperrten sie in einen Käfig. Am Dienstag und Mittwoch mussten sich ein Weinländer und seine Frau vor Gericht verantworten. Ein Urteil wird in einer Woche erwartet.

Manuel Sackmann (msa) Publiziert: 20. September 2024
Lesezeit: 5 min

Dieser Fall ist aussergewöhnlich. Darin waren sich alle Parteien einig. Und er schlug hohe Wellen. Sogar im philippinischen Parlament sei er zur Sprache gekommen, sagte eine Vertreterin der dortigen Regierung am Mittwoch vor dem Bezirksgericht Andelfingen. Ins Gebäude hinein durfte sie nicht: Der Prozess fand auf Antrag der als Privatklägerinnen auftretenden Opfer unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nur akkreditierte Medienschaffende waren zugelassen. Davon kamen etliche, der Saal war vor allem am ersten der beiden Verhandlungstage rappelvoll.

Die Regierungsvertreterin interessierte sich in erster Linie für ihre Landsfrau, die 32-jährige Gattin des Hauptbeschuldigten. Dieser wird Beihilfe zu den Taten ihres Schweizer Mannes vorgeworfen, weshalb ihr ein Landesverweis droht. Gemeinsam hätten sie zwei ausländische Frauen in einem unfreiwilligen Sadomaso-Setting (BDSM) als Haussklavinnen gehalten. Schlafen und für eine erfundene Hotelfachschule lernen mussten die Opfer in einem winzigen Käfig, teilweise gefesselt. Fehler oder Ungehorsam führten zu Sanktionen (AZ vom 13.9.2024).

«Die Anklage ist spitz formuliert» 
Die Hauptverantwortung trägt der Ehemann. Der 46-jährige Informatiker ist geständig und hat sich vorgängig mit der Staatsanwaltschaft auf einen Urteilsvorschlag geeinigt. Sein Prozess fand deshalb im abgekürzten Verfahren statt. «Die Anklage ist etwas spitz formuliert, aber inhaltlich richtig», gab er vor Gericht zu Protokoll. Häufig antwortete er auf die Fragen des Richters schlicht mit «Ich anerkenne den Sachverhalt». Das in der Anklage mehrfach zu lesende Wort Zwang würde er aber nicht verwenden. Es habe einen Vertrag zwischen ihm und den Haushälterinnen gegeben, aus­serdem hätten sie sehr wohl Freizeit gehabt und selbständig Ausflüge, ja sogar Ferien machen können. «Wir lebten zusammen.»

Dass der Vertrag nicht wirklich einvernehmlich war, sah er ein. «Ich bin mit meinem Vorgehen über das Ziel hinausgeschossen, das war falsch und tut mir leid», sagte er in seinem Schlusswort. Er habe zwar eine dominante Neigung und seine Machtposition gegenüber seinen Opfern ausgenutzt, aber niemanden schädigen wollen, so der Mann, der schon seit Jahren in BDSM-Kreisen verkehrt.

Der Beschuldigte erfand eine Hotelfachschule, die International Maid School (IMS). Unter ihrem Deckmantel versprach er den Frauen eine Ausbildung im Homeschooling, die ihnen später eine Prüfung bei Gastrosuisse ermöglichen sollte. Er liess seine Opfer im Glauben, das BDSM-Setting sei Teil der Schule. «Es war wirklich mein Ziel, ihnen eine gute Ausbildung zu ermöglichen», beteuerte der Mann, gab aber zu, dass seine Lehrmethoden «unpassend» gewesen seien. Er habe zu wenig auf die Befindlichkeiten der Frauen geachtet.

Mann nimmt seine Frau in Schutz
Auch sein Verteidiger, der bekannte Milieu-Anwalt Valentin Landmann, wies die Schuld nicht von seinem Mandanten. In seinem Plädoyer, das einen ausschweifenden Exkurs zur Schweizer BDSM-Szene beinhaltete, sagte er, der Beschuldigte sei ein BDSM-Meister und wisse, was er tue. In der Szene würden jedoch die Grundsätze «safe, sane, consensual» (sicher, gesund, einvernehmlich) gelten. Den letzten davon habe er verletzt. «Es ist nicht illegal, jemanden einzusperren und zu fesseln – wenn die Person damit einverstanden ist.» Sein Mandant habe aber niemanden gefährden wollen. Die Opfer hätten das Setting jederzeit beenden können.

«Ich allein war verantwortlich», sagte der Beschuldigte vor Gericht. Seine Frau habe zwar bei ihm im gleichen Haus gelebt, trage aber keine Schuld. Die Anwerbung der Opfer sei über ihn gelaufen. Danach habe er sowohl die Haushälterinnen als auch seine Frau manipuliert und hinters Licht geführt. Wenn die Gattin sich am Setting beteiligt habe, etwa indem sie Fesselungen vornahm oder die Opfer einsperrte, dann nur auf seinen Befehl hin.

Ehefrau sieht sich selbst als Opfer
Gleich argumentierte die philippinische Ehefrau, deren Prozess im ordentlichen Verfahren stattfand. Das erste Opfer, eine Asiatin, sei einfach plötzlich da gewesen, als sie von einem Nothelferkurs nach Hause gekommen sei. Ihr Mann habe gesagt, es gebe einen Vertrag, Käfig und Fesselungen gehörten dazu und seien Teil der IMS-Ausbildung. Sie habe ihm geglaubt.

Sie sei damals neu in der Schweiz gewesen, habe Sprache und Kultur lernen müssen und ihren Mann noch kaum gekannt. Geheiratet hatten sie nur gut ein Jahr, nachdem sie sich in den Philippinen kennengelernt hatten. Sie stamme aus ärmlichen Verhältnissen und sei sich aus der Heimat gewohnt, dass der Mann das Sagen habe, so die Beschuldigte. Es habe keinen Grund gegeben, ihm nicht zu vertrauen. Aus­serdem hätten die Opfer nie geweint oder sich bei ihr beschwert. «Ich sah sie als Freundinnen.»

Ihr Verteidiger wies in seinem über 90-minütigen Plädoyer darauf hin, dass seine Mandantin eher selbst als Opfer statt als Täterin zu betrachten sei. Denn diverse Freunde, Nachbarn und Bekannte des Ehemannes hätten von dem Setting wissen oder zumindest etwas ahnen müssen. Schliesslich habe das Ehepaar häufig Besuch gehabt, der von den Haushälterinnen bewirtet worden sei. Und der Käfig sei direkt neben dem WC nur von einem Vorhang verdeckt gewesen. Diese Leute hätten das Ganze also geduldet und akzeptiert, ohne einzuschreiten. In diesem Milieu sei es für seine Mandantin schwierig gewesen, sich gegen ihren Mann zu stellen. Daher habe sie nur dessen Befehle ausgeführt – und das auch nur gelegentlich.

Keine Freundin, sondern «Capo-Frau»
Dem widersprachen sowohl die Opfer selbst als auch die Staatsanwaltschaft.  Von einer «Freundschaft» mit der Beschuldigten wollten die Haushälterinnen vor Gericht nichts wissen. Zwar sei sie die angenehmere der beiden Eheleute gewesen, doch bezeichnete sie 
eines der Opfer lediglich als «ihre Chefin». Sie habe sie im Haushalt herumkommandiert, ihr regelmässig die Fesseln angelegt und den Käfig geschlossen. Auch habe sie von den jeweils drohenden Sanktionen gewusst und eine Art «Gefängniswärterrolle» übernommen, wenn ihr Mann nicht zu Hause gewesen sei. Für die Bedürfnisse der Opfer habe sie sich kaum eingesetzt.

Die Staatsanwältin anerkannte zwar, dass der Mann die treibende Kraft war, doch habe seine Frau ihn unterstützt und ebenso egoistisch gehandelt. Sie habe ihren neu gewonnenen Reichtum genossen, dafür das Gebaren ihres Mannes akzeptiert und als «Capo-Frau» gehandelt. Der Begriff stammt aus dem Prostitutionsgeschäft und bezeichnet Aufpasserinnen, die unter anderem das Geld einsammeln und 
bestimmen, wer wo zu stehen hat. Einsichtig oder reuig habe sich die Beschuldigte nie gezeigt.

Die mündliche Urteilseröffnung wird am nächsten Donnerstag erwartet.