Vier Monate für ihn, fünf Jahre für sie

Bezirksgericht - Nun liegt ein Urteil im aufsehenerregenden «Haussklavinnen-Fall» vor. Der Hauptbeschuldigte bleibt noch vier Monate in Haft, seine Frau wird für fünf Jahre des Landes verwiesen. Sie hat Berufung angemeldet.

Manuel Sackmann (msa) Publiziert: 27. September 2024
Lesezeit: 4 min

Jemanden einzusperren und zu fesseln mag erlaubt sein – sofern alle Parteien damit einverstanden sind. Dass dem im Fall, der letzte Woche am Bezirksgericht Andelfingen verhandelt wurde, nicht so war, zeigten die Aussagen der beiden Opfer. Zwar hatten die ausländischen Frauen einen Vertrag unterschrieben, der sie zur Hausarbeit bei einem Weinländer Ehepaar verpflichtete und dazu, sich in einem zwei Quadratmeter kleinen Käfig einsperren und fesseln zu lassen. Doch waren sie mit falschen Versprechungen angeworben worden und hatten nur unter Druck eingewilligt, verfügten sie damals doch über keine gültigen Aufenthaltspapiere für die Schweiz. Das erste Opfer verbrachte rund zehn Monate in diesem Sadomaso-Setting, ehe ihm die Flucht gelang. Das zweite Opfer war knapp einen Monat im Haus, bis die Polizei es befreite (AZ vom 20.9.2024 und 13.9.2024).

Gestern Donnerstag verkündete das Gericht nun das Urteil. Der Hauptschuldige, ein 46-jähriger Informatiker, wurde unter anderem des mehrfachen Menschenhandels, der mehrfachen Freiheitsberaubung und der Urkundenfälschung schuldig gesprochen. Ihm wurde eine 36-monatige Haftstrafe auferlegt, wovon aber nur neun vollzogen werden müssen, sofern er innerhalb von fünf Jahren nicht erneut straffällig wird. Und weil er bereits fünf Monate in Untersuchungshaft verbracht hat, muss der Mann lediglich vier weitere absitzen. Definitiv zahlen muss er jedoch die Geldstrafe von 11'000 Franken sowie die Verfahrens- und Gerichtskosten im hohen fünfstelligen Bereich.

«Irritierendes Schlusswort»
Das Urteil des Bezirksgerichts stimmt mit dem Urteilsvorschlag überein, den die Staatsanwaltschaft vorgängig mit dem Beschuldigten ausgehandelt hatte. Aus diesem Grund fand der Prozess im abgekürzten Verfahren statt. Das Gericht sei sich bewusst, dass die Strafe im ordentlichen Verfahren wohl auch höher hätte ausfallen können, hiess es in der mündlichen Urteils­eröffnung. Doch habe der Angeklagte ein umfassendes Geständnis abgelegt sowie die Zivilforderungen der Opfer (insgesamt rund 16'000 Franken) anerkannt und bezahlt. Aus diesen Gründen sei das Strafmass akzeptabel.

Der vorsitzende Richter äusserte allerdings Zweifel an der Aufrichtigkeit des Beschuldigten: «Ihr Schlusswort war irritierend.» Zwar habe er die Verantwortung für das Geschehene vollumfänglich übernommen, doch sei sich das Gericht aufgrund seiner Wortwahl nicht sicher, ob er sich wirklich bewusst sei, wofür er verurteilt wurde. «Sie haben nicht nur in einem geplanten Setting etwas übertrieben», so der Richter. Menschenhandel und Freiheitsberaubung seien ernste Tatbestände. «Zudem haben Sie die Bedürfnisse der Opfer zu wenig beachtet, Sie haben sie missbraucht!» Sollte er sich erneut etwas zuschulden kommen lassen, dürfe er kaum mehr Milde vonseiten der Justiz erwarten.

Kein Mitgefühl gezeigt
Ein echtes Geständnis oder Bedauern erkennen konnte das Gericht bei der philippinischen Ehefrau des Beschuldigten nicht. Es sei unglaubhaft, dass sie nichts von den illegalen Machenschaften ihres Mannes beziehungsweise von der fehlenden Freiwilligkeit der Opfer gewusst habe. Das angebliche Schulungs-Setting – der Beschuldigte liess seine Opfer im Glauben, der Käfig und die Fesseln seien Teil einer Hotelfachschulung – und das Sanktionssystem hätten der Frau bekannt sein müssen. Sie habe die Opfer teilweise selbst eingesperrt und gefesselt. Und wenn sich diese weigerten, habe sie auf den Vertrag verwiesen, von dessen Inhalt sie während der Gerichtsverhandlung keine Kenntnis gehabt haben wollte. Dass sie sehr wohl in die Bedingungen inklusive der fehlenden Aufenthaltsbewilligungen der Opfer eingeweiht war, würden Chatverläufe zwischen ihr und ihrem Mann beweisen, so der Richter.

Die Frau hatte zudem ausgesagt, sie sei von ihrem Gatten abhängig und ihm gegenüber zu Gehorsam verpflichtet gewesen. Sie habe nur getan, was er gesagt habe. Eine solch starke Abhängigkeit sah das Gericht jedoch nicht als gegeben. Aufgrund einer höheren Ausbildung und eines festen Jobs sei sie zu eigenständigen Entscheiden fähig gewesen. «Sie hätten wenigstens Mitgefühl mit den Opfern zeigen können, was Sie aber nicht taten.»

Der Richter stellte in Frage, ob der Straftatbestand der Gehilfenschaft noch ausreichen würde oder ob gar von Mittäterschaft gesprochen werden müsse. Letztlich beliess er es bei der milderen der beiden Definitionen, sprach aber ein härteres Urteil als von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagen. So auferlegte er der Beschuldigten eine Freiheitsstrafe von 16 statt 10 Monaten und eine Geldstrafe von 4500 statt 900 Franken. Haft- und Geldstrafe wurden bedingt ausgesprochen mit einer Probezeit von zwei Jahren. Härter dürfte die Frau aber der fünfjährige Landesverweis treffen. Ein Härtefall liege nicht vor, so der Richter. Die gelernte Lehrerin und heutige Webdesignerin könne ihren Beruf auch in den Philippinen ausüben. Zudem erachtete er ihre Integration in der Schweiz als «nicht übermässig ausgeprägt».

Der Verteidiger der Frau kündigte direkt an, Berufung einzulegen. Ihr Mann gab zu Protokoll, sein Urteil nicht anfechten zu wollen.